Vier Praktiken für einen schöpferischen Dialog in Unternehmen
Kategorie: Blog
Im Blogartikel „Das Ecosystem Dialog als Basis für organisationale Weiterentwicklung“ wird klar, dass die Kulturtechnik eines echten Dialogs essentiell für die Entfaltung der impliziten Potenziale dieser Weltengemeinschaft ist. In diesem Artikel lesen Sie, wie Sie durch vier Praktiken die Qualität des Dialogs revolutionieren können. Voraussetzung dafür ist, dass Sie bereit sind, sich selbst einem Dialog ganz zur Verfügung zu stellen.
Hier die vier Praktiken eines echten Dialogs lt. Isaacs [1]:
Mit 4 Dialog-Praktiken vom Ego- zum Ecosystem
Praktik 1: Artikulieren
Artikulieren heißt, die eigene Wahrheit unabhängig von anderen auszusprechen und die Vorschriften, wie man sich ausdrücken sollte, loszulassen. Es ist ein Sprechen mit dem Herzen, bei dem Menschen ihr Innerstes offenlegen, sich ganz und authentisch zeigen. Die Menschen sagen das, was sie sich wirklich denken. Es bedeutet, die Selbstzensur zu überwinden, ins Leere zu springen und das ausdrücken, was gesagt werden will. Es hat etwas vom Zauberwort „Abrakadabra“, das übersetzt heißt: „Ich schaffe, während ich spreche.“ Das ist magisch. Die eigene Sprache hat verändernde Kraft.
Die Formulierung der authentischen eigenen Sprache entspringt letztlich der inneren Ökologie unserer Welt, dieser unsichtbaren und impliziten Ordnung, und bringt die explizite Welt, die Außenwelt, hervor. Sie ermöglicht die Entfaltung des Potenzials, das in uns und um uns ist. Das Samenkorn ist nicht nur die Quelle des Baumes, sondern eher so etwas wie die Öffnung, durch die sich die Realität entfaltet.
Hilfreiche Frage: Was muss gesagt werden?
Praktik 2: Zuhören
Die schlichte, aber profunde Fähigkeit des Zuhörens steht im Zentrum des Dialogs. Es bedeutet nicht nur den anderen zuzuhören, sondern auch den Lärm im eigenen Inneren wahrzunehmen, zu akzeptieren und nach und nach loszulassen. Wenn wir still sind und den Lärm im eigenen Kopf zum Schweigen bringen und unser Herz aufmachen, öffnen wir uns der Gegenwärtigkeit mit all ihren Facetten.
Es ist notwendig, sich nicht nur auf das Reden, sondern sich auch auf das Zuhören vorzubereiten und inneres Schweigen zu entwickeln. Nur so haben wir die Möglichkeit, unvoreingenommen wahrzunehmen. Wenn wir es schaffen, losgelöst von den eigenen Neigungen, Meinungen und vorschnellen Schlussfolgerungen zuzuhören, befinden wir uns in einem achtsamen Zustand der Aufmerksamkeit und Präsenz ohne Widerstand und Zwang. In diesem Zustand können wir unmittelbar erfahren, dass wir an der Welt partizipieren. In Zustand wird es möglich, von anderen lernen.
Hilfreiche Frage: Bin ich ganz beim Sprecher oder deute ich seine Aussagen?
Praktik 3: Respektieren
Respekt bedeutet, den anderen in seiner Ganzheit zu sehen. Respekt ist nicht passiv. Respekt bedeutet erneut hinschauen. Der erneute Blick auf einen Menschen zeigt, wie viel wir übersehen haben. Respekt akzeptiert den anderen, egal ob uns das, was er denkt und sagt, gefällt oder nicht. Hinter jedem Menschen steht eine stimmige Geschichte, die ihn zu genau diesem Menschen gemacht hat. Es braucht eine Erkundung unter der Oberfläche.
Respekt lässt sich lernen, indem wir uns unablässig fragen: „Wie passt das, was ich höre, in ein größeres Ganzes? Wir gehen von der Integrität der Position eines anderen aus und sind uns bewusst, dass es unmöglich ist, diese ganz zu verstehen.
Das genuin Menschliche wird akzeptiert, es ist eine Begegnung auf Augenhöhe unabhängig davon, in welcher traditionellen Autoritätsbeziehung die Dialogpartner stehen. Indem wir das Potenzial einer anderen Person anerkennen, gewinnt sie an Ansehen.
Für diejenigen, die andere Standpunkte einnehmen, muss bewusst Raum geschaffen werden. Es braucht die Sicherheit, dass es okay ist, sich mit einer kontroversen Perspektive zu exponieren.
Bei all dem Respekt, den wir anderen zollen, ist es auch wichtig, dass wir uns selber respektieren. Das gilt insbesondere dann, wenn eine dargestellte Perspektive, unseren Ärger entfacht. Wir können davon ausgehen, dass das, was uns unter die Haut geht, auch etwas mit uns selbst zu tun hat. Die Schwierigkeit ist nur, das auch zuzugeben. Es gilt, solche tiefen Spannungen in uns zu akzeptieren, ohne sie zu intensivieren.
Hilfreiche Frage: Was kann mich der Mensch neben mir lehren, was weiß ich noch nicht?
Praktik 4: Suspendieren
Suspendieren heißt, inne halten und auftauchende Gedanken und Gefühle zur Kenntnis zu nehmen und zu beobachten, ohne zwangsläufig danach handeln zu müssen. Annahmen und Urteile werden in Schwebe gehalten. Suspendieren bedeutet auch, die Richtung zu wechseln, einen Schritt zurückzutreten und die Dinge aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Das ist insbesondere dann eine große Herausforderung, wenn man sich schon auf eine Position festgelegt hat. Wir müssen uns gewissermaßen von unseren Gedanken
re-identifizieren, denn nicht verhandelbare Positionen sind wie Felsen im Strom des Dialogs und verursachen Stau.
Durch den Abstand von der eigenen Perspektive und von Gewissheiten setzen wir jede Menge kreative Energie frei. Es wird möglich, auf die Möglichkeiten zu hören, die sich einfach daraus ergeben, dass man sich aufeinander bezieht. Kollektives Suspendieren bewirkt, dass eine Gruppe erkennt, dass sie sich nicht länger auf die Auswahl eines Standpunkts beschränken muss, sondern dass über den dialogischen Gesprächsfluss völlig neue Möglichkeiten entstehen können. Es geht darum, Ereignisse in dem Augenblick wahrzunehmen, in dem sie geschehen. Suspendieren heißt, die Verfertigung der Gedanken aktiv zu beobachten.
Hilfreiche Frage: Gibt es Situationen, in denen ich nicht in der Lage war, etwas aus einer anderen Perspektive zu sehen?
Fazit – Was können Unternehmen und Einzelne für einen gelingenden Dialog beitragen?
Echter Dialog ist das Mittel, um Veränderungen zu initiieren. Der Dialog bietet die Möglichkeit, etwas Neues zu kreieren, das über die Gedanken der einzelnen Beteiligten weit hinaus reicht. Für die Entfaltung von Unternehmen ist Dialogfähigkeit damit eine unverzichtbare Kernkompetenz.
Der Auftrag an Unternehmen lautet, angstfreie Resonanzräume für empathischen und schöpferischen Dialog zu schaffen. Räume, in denen die vertrauensvolle Erkundung der äußeren und vor allem der inneren Ecosysteme möglich ist, um so gemeinsam aus dem impliziten Wissen unserer Welt zu lernen und die eigene Transformation in generative Unternehmen voranzutreiben. Es geht darum, den reinen Exploit-Modus zu überwinden, Innovationen zum Durchbruch zu verhelfen und über neue Geschäftsmodelle zum Mitgestalter unserer Gesellschaft zu werden. Unternehmen, die lernen, im Einklang mit der unsichtbaren Architektur unserer Welt zu agieren, werden als Pioniere unserer Wirtschaftswelt langfristig erfolgreich sein.
Für gelingenden Dialog kann jede und jeder von uns etwas beitragen, denn …
„Die Qualität der Aufmerksamkeit, die wir in eine Situation einbringen, bedingt die Art und Weise, wie Wirklichkeit entsteht und in die Welt kommt.“
C. Otto Scharmer, Professor am MIT, Erfinder des U-Prozesses
Es ist MEINE Entscheidung, wie ich in ein Gespräch hineingehe!
Quellen dieses Beitrags
Ich danke Bernhard Frischmann für seine geniale Keynote auf den Grazer Freiräumen 2018, die mich zu diesen Überlegungen inspiriert hat.
Die zentralen Gedanken zum Dialog sind dem Buch „Dialog als Kunst gemeinsam zu denken: Die neue Kommunikationskultur in Organisationen“ von William Isaacs entnommen. Das Buch ist für mich eine wunderbare Vertiefung für den Umgang mit Dialog im Rahmen meiner Arbeit mit dem INU-Modell und der Soziokratischen Methode.
Zum Weiterlesen
- Das Ecosystem Dialog als Basis für organisationale Weiterentwicklung – zum Blogartikel
- Die Unterschiede zwischen Debatte, Diskussion und Dialog – zum Blogartikel
Literatur
[1] Isaacs, William (2011): Dialog als Kunst gemeinsam zu denken: Die neue Kommunikationskultur in Organisationen“, EHP – Verlag Andreas Kohlhage, 2. Auflage

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